Ein Kommentar: Alexander Hold fragt sich Scholz oder Völler?
Gestern war ein Tag der ungeahnten Möglichkeiten. Nachdem witterungsbedingt alle Termine abgesagt wurden, hat sich mir die Möglichkeit eröffnet, mich anstatt Grußworten bei einer Kulturveranstaltung und Ehrungen beim Weißen Ring um die weiße Pracht vor meiner Haustür zu kümmern und so kam ich an diesem Wochenende zu drei ungeplanten Stunden Sport und Bewegung. Und Schneeschaufeln hat ja – gerade wenn man kaum vorankommt - etwas Meditatives. Und da fiel mir ein, dass früher ein ganz normaler Wintertag war, was heute als Schneechaos betitelt wird. Dass wir in Autos ohne ABS und Allrad 200 km zu Auswärtsspielen fuhren und »tschuldigung « murmelten, wenn wir eine Stunde zu spät kamen. Und wenn‘s wirklich zu winterlich wurde, hieß der allgemeine Rat: »Nehmt doch die Bahn!«
Heute kommen noch vor dem Schneepflug WhatsApp-Nachrichten von Spielleitern, Eltern und Behörden mit dem jovialen Rat: »Leute, bleibt‘s daheim.« Und die Bahn ist die Erste, die ihren Betrieb einstellt. Vollständig, flächendeckend. Sind wir einfach achtsamer und verantwortungsvoller geworden? Aber warum hat vor 40 Jahren mit denselben Gleisen, aber weniger Technik und älterer Gerätschaft funktioniert, was heute bei jeder Unregelmäßigkeit zusammenbricht? Oder neudeutsch: Wieso waren wir vor Jahrzehnten resilienter als heute?
Die Systeme sind komplexer, die Techniken sensibler geworden. Vor allem aber ist alles so kostenoptimiert – besser: auf Kante genäht –, dass es an Reserven für den Fall fehlt, dass etwas im normalen Betrieb herausfordernd wird. Riesige Puffer gibt es dagegen bei allen Sicherheitsvorschriften, sei es Brandschutz, Lärmschutz, auch Arbeitsschutz, eben allem, was uns bürokratisch hemmt. Manches davon begünstigt unser größtes Problem: Ob Fußball, Wirtschaft oder Politik, man gewinnt zunehmend das Gefühl, dass in anderen Ländern der Wille größer ist, voranzukommen, dass es bei uns zwar genug Knowhow, Innovationskraft
und immer noch gute Rahmenbedingungen gibt, aber weniger Enthusiasmus, weniger Bereitschaft, bis an Grenzen zu gehen, schlicht weniger Leistungsbereitschaft.
In einem Land, in dem Bundesjugendspiele in Verruf geraten, weil sie Kinder unnötig unter Leistungsdruck setzen, sind wir dann schon glücklich, wenn unsere U17 Fußball-Weltmeister wird. Denn dann wird bei den Großen schon auch alles irgendwie wieder besser werden. Das ist ungefähr so blauäugig wie anzunehmen, der Chef des staatlichen Ölkonzerns von Dubai wäre der richtige Vorsitzende für die Weltklimakonferenz, die den Ausstieg aus Öl und Kohle beschleunigen soll. Oder ein Kanzler, der bekannt dafür ist, in seinen Reden wenig mitreißend Nichts zu sagen, könnte eben diese Konferenz aufrütteln.
Vielleicht beschreibt folgendes Bild, das mir ganz ohne Leistungsdruck schneeschaufelnd in den Sinn kam, den Zustand unseres Landes ganz gut: Deutschland ist das Land, das sich als Mannschaft gern an frühere Erfolge erinnert, im entscheidenden Spiel aber ohne Biss in der Abwehr, ohne System im Spielaufbau und ohne die Chancen im Angriff zu nutzen, nur durch uninspiriertes Ballhalten und Wehklagen
gegen den Schiedsrichter auffällt, wobei dann beim 0:2-Halbzeitstand der Bundestrainer in der Kabinenansprache nur die eine entscheidende Frage stellt: »Ist Euer Pausentee angenehm lauwarm?«
Leider haben wir keinen Rudi Völler und keinen Jupp Heynckes als Bundeskanzler. Aber das ist eine ganz andere Geschichte… (Alexander Hold, MdL, Vizepräsident des Bayerischen Landtags)
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