ESV Kaufbeuren bangt weiter um Eishockey-Zukunft
Da saßen sie nun. Fünf Männer mit vierhundertelf Jahren Lebenserfahrung. Ihre Ratlosigkeit aber vermochten sie nicht in Worte zu kleiden. Sie holten tief Luft und rangen um Ausdruck. Es misslang. Es musste misslingen. Wie auch hätte es gelingen sollen? Wie auch hätten sie eine Frage beantworten sollen, auf die es keine befriedigende Antwort gab?
„Was wäre, wenn ...", fing die heikle Frage an, „was wäre, wenn in Kaufbeuren tatsächlich keine angemessen große Eishalle gebaut werden würde?"
Bedrohlich hängt diese Frage seit Monaten gleich einem Damoklesschwert über Kaufbeuren. Nun hing sie über den in Ehren ergrauten Köpfen der gemütlichen Gesprächsrunde im Café Maxx nahe dem Rathaus und Alfred Hynek, überragender Stürmer und Torjäger der sechziger Jahre, brachte es schließlich doch auf den Punkt: „Ich kann das alles nicht verstehen. Das ist ein Ding der Unmöglichkeit. Alles, was aufgebaut wurde, würde kaputtgehen."
Alles würde kaputtgehen. Alfred Hynek traf den Nagel auf den Kopf und er sprach nicht nur Luggi Schuster, Fritz Sturm, Ludwig Göttle und Reinhold Rief aus der Seele.
Was für Namen. Kaufbeurer Eishockeylegenden allesamt. Luggi Schuster (90) und Fritz Sturm (85) waren bereits 1946 bei der Gründung des Eissportvereins Kaufbeuren dabei gewesen, Alfred Hynek (81), Ludwig Göttle (78) und Reinhold Rief (77) etwas später zum ESVK gestoßen.
Reinhold Rief, anno 1956 aus Füssen nach Kaufbeuren gekommen, Mitglied des rotgelben Traumsturms Reinhold Rief–Alfred Hynek–Xaver Unsinn und später mit der Düsseldorfer EG deutscher Meister, ergriff schließlich das Wort: „Damals haben wir den Verein in die Höhe gebracht und wir alle haben Idole gebraucht. Genauso brauchen die Nachwuchsspieler heute Idole, um sich entwickeln zu können. Der ESVK war für mich ein unvergleichliches berufliches Sprungbrett."
„Achtundfünfzig bekamen wir Kunsteis", ergänzte Fritz Sturm , „das war unheimlich wichtig. Genauso wie heute eine gescheite Eishalle wichtig für den Verein und für ganz Kaufbeuren ist. Da ist das Lebenswerk vieler ehrenamtlicher Menschen in Gefahr."
„Genau", hieb Luggi Schuster, der heute als Dauerkartenbesitzer neunzigjährig alle Heimspiele besucht, in dieselbe Kerbe, „damals wurde Jugendausbildung von unten bis ganz oben betrieben und das muss heute auch so sein. Alles andere ist absurd."
„Und ein Stadion muss mindestens dreieinhalbtausend Plätze haben", bekräftigte Alfred Hynek unmissverständlich, während sich zu der Gruppe auch noch der ehemalige Nationalspieler Mandi Hubner, anno 1966 erster Kaufbeurer Bundesligatorschützenkönig, gesellte, „weniger als dreieinhalbtausend geht gar nicht. Das ist die unterste Grenze. Wir alle machen uns große Sorgen wegen des Kaufbeurer Nachwuchses. Ohne gescheite Eishalle geht da gar nix mehr."
Sie hatten doch noch ihre Sprache gefunden, die großen alten Herren des Kaufbeurer Eishockeys, es war die Sprache des Herzens. Und als sie auch noch von den Jahren des Aufbaus erzählten, sprudelten die Erinnerungen aus den Männern, deren ganze Leidenschaft noch heute ihrem Verein, ihrer Stadt und der Kaufbeurer Jugend gehört, nur so hervor.
„Im Engel in der Schmiedgasse haben wir uns 1946 versammelt. Die Not war groß. Unsere roten Dressen haben wir uns nur geliehen", erzählte Fritz Sturm sichtlich bewegt von den Anfangsjahren, „und bei fünfzehn Grad minus sind wir im offenen Lastwagen hinauf nach Füssen zum Training gefahren."
Melancholisch verließ ich schließlich das Café Maxx und ich hatte die Worte von Ludwig Göttle, dessen junger Karriere sich 1956 eine schwere Verletzung in den Weg gestellt hatte, noch im Ohr, als ich durch den lauen Vorweihnachtsabend die Maximilianstraße entlangging: „I bin traurig. Eishokai gheart zua Kaufbeira. Kaufbeira isch ohna Eishokai nix."
Der berührende Nachmittag mit den vom Alter gezeichneten, aber von ihm nicht gebeugten Recken hatte mich nachdenklich gemacht, mir aber auch das Herz gewärmt und vom Zusammenhalt der großen Kaufbeurer Eishockeyfamilie erzählt.
Die Dämmerung sank herab und da war sie wieder, die düstere Frage. Was wäre, wenn ...? Noch immer hing sie in ihrer alptraumhaften Unfassbarkeit über mir und über Kaufbeuren. Alles, was bliebe, wäre Sprachlosigkeit.
In jenem Augenblick aber wusste ich ganz tief in mir, dass ich im September 2017 auf der Tribüne eines neuen Kaufbeurer Schmuckkästchens, das meinem ESVK eine Heimat sein und ihm eine Zukunft geben wird, sitzen würde, um vor ausverkauftem Haus das Eröffnungsspiel zu verfolgen. Zusammen mit Luggi Schuster, Fritz Sturm, Alfred Hynek, Ludwig Göttle, Reinhold Rief, Mandi Hubner und mit Euch allen, Ihr rotgelben Eishockeyfreunde.
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