Wenn Nervenzellen überreagieren: Epilepsie bei Kindern
Epilepsie bei Kindern: Mit der Krankheit lässt sich heutzutage gut leben. Ein Kaufbeurer Spezialist will für die weniger bekannten Seiten sensibilisieren.
Zur Epilepsie bei Kindern kursieren zahlreiche Klischees. Anlässlich des "Europäischen Tags der Epilepsie" am 14. Februar klären Professor Dr. Markus Rauchenzauner, Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin in Kaufbeuren und Oberärztin Dr. Gabriele Unterholzner über die Erkrankung auf. Rauchenzauner ist unter anderem Spezialist für Kinderneurologie, womit Epilepsie zu seinen Fachgebieten gehört. Zudem ist er in der Forschung tätig, beispielsweise in Zusammenarbeit mit der kanadischen McGill-Universität.
Der Pädiater betont, dass es sich um eine verbreitete Krankheit handelt, mit der es sich jedoch meist gut leben lässt. Mindestens 0,5 Prozent aller Kinder seien betroffen. Insgesamt handelt es sich um eine sogenannte zweigipflige Erkrankung, die besonders häufig bei kleinen Kindern bis fünf Jahren und als "Altersepilepsie" ab 60 vorkommt. Pro Jahr gibt es in Deutschland 30.000 neue Diagnosen.
Eine gute Nachricht in der Kindermedizin ist, dass es Formen der Epilepsie gibt, "die sich auswachsen und nicht ins Erwachsenenleben mitgezogen werden", wie der Chefarzt sagt. Es handelt sich um eine vielgestaltige Krankheit, die häufig falsch gedeutet wird. Die Kinderärztin Dr. Unterholzner die schon lange im Gebiet der Kinder-Neurologie arbeitet beschreibt sie als "immer wiederkehrende, anfallartige Übererregbarkeit von Nervenzellen".
Je nachdem, was im Kopf passiert, äußert sie sich in verschiedenen Formen. Wenn Betroffene verkrampft am Boden liegen und zucken, womöglich mit Schaum vor dem Mund, ist das nur eine mögliche Ausprägung. Diese kommt aber häufig vor und ist meist der Grund, einen Arzt zu konsultieren. Hilfreich für die Diagnose seien heutzutage Videoaufnahmen von den Anfällen. Genauso kann es aber zu Bauchweh, Übelkeit, Konzentrationsstörungen, Verhaltensauffälligkeiten oder Déjà-vus kommen.
Das Entscheidende dabei ist, dass die Anfälle, egal in welcher Gestalt, sich wiederholen. Beide Ärzte möchten dafür sensibilisieren, eine mögliche Epilepsie im Hinterkopf zu haben. "Oft liegt es an der Findigkeit der Ärzte oder Eltern, sich an die richtigen Spezialisten zu wenden", sagt er. Denn es gebe beispielsweise immer wieder Fälle, bei denen Epilepsie mit der Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörung (ADHS) verwechselt wird, etwa bei den sogenannten Träumerlein. Dabei ist es entscheidend, die Krankheit korrekt zu diagnostizieren. Denn bis zu dreiviertel aller Betroffenen können nach der ersten Medikamentengabe ohne Anfälle leben.
Bei der Prophylaxe nehmen die jungen Patientinnen und Patienten in der Regel ein bis zweimal täglich Medikamente zu sich und gehen drei- bis viermal pro Jahr zur Kontrolle. "Das war's. Damit sind die Patienten eingestellt und das hat nichts mit Ruhigstellen zu tun", tritt Rauchenzauner einem verbreiteten Vorurteil entgegen. Moderne Medikamente seien top verträglich und verändern das Verhalten der Kinder nicht. Ebenso spricht er sich gegen "ein Leben im goldenen Käfig" aus. Betroffene sollten in der ersten Zeit zwar nicht schwimmen oder Risikosportarten nachgehen. "Ansonsten gilt es sich zu überlegen, was passieren kann und sich darauf einzustellen, beispielsweise indem man auf dem Fahrrad immer einen Helm trägt", appelliert Rauchenzauner an den gesunden Menschenverstand.
Er selbst hat eine Studie unternommen, laut der körperliche Betätigung nicht nur die Lebensqualität verbessert, sondern auch die Zahl der Anfälle verringern kann. Er empfiehlt lediglich, sich mit dem zuständigen Epileptologen oder der Epileptologin abzusprechen.
Zum Klischee über Epilepsie gehören auch mögliche Auslöser der Anfälle: Flimmernde Fernseher oder Videospiele gehören nach Rauchenzauners Worten eher zu den Raritäten. Viel gefährlicher seien Schlafentzug, Alkohol und Stress. Kommt es zu einem Anfall, gilt es in erster Linie ruhig zu bleiben. Außer Betroffene in stabile Seitenlage zu bringen und zu vermeiden, dass sie irgendwo runterfallen, ließe sich nichts machen. 95 Prozent der Anfälle würden innerhalb von zwei bis drei Minuten von allein aufhören. Erst danach werden Notfallmedikamente nötig.
Generell plädieren Rauchenzauner und seine Kollegen dafür, die Krankheit in Kindergarten, Schule und anderen wesentlichen Stellen nicht zu verschweigen. Auf diese Weise verursachen Anfälle keine Panik und Notfälle seien besser aufzufangen. Unterstützung in diesen sozialen Fragen gibt auch eine Epilepsie-Beratungsstelle. Zudem gibt es eine Notfallkarte. Darauf steht, dass man Epileptiker ist, welche Klinik idealerweise Ansprechpartner wäre, wo man die Notfallmedikamente mit sich trägt und wann und wie diese zu verabreichen sind.
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