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Prof. Dr. Andreas Wirsching (vorne links) und Kemptens OB Thomas Kiechle bei der Vertragsunterzeichnung
(Bildquelle: AllgäuHIT | Eva Veit)
 
Kempten
Mittwoch, 20. Juli 2022
Ein Bericht von Eva Veit

Forschungsprojekt Geschichte des Nationalsozialismus in Kempten

Bereits seit längerem beschäftigt sich die Stadt Kempten mit der Aufarbeitung der Geschichte des Nationalsozialismus in Kempten. Unter anderem wurde hierfür eine Kommission für Erinnerungskultur geschaffen. Nun hat die Stadt das Institut für Zeitgeschichte München-Berlin mit der wissenschaftlichen Erforschung des Nationalsozialismus in Kempten beauftragt.

„Wir haben lange auf diesen Tag gewartet“, sagte Kulturamtsleiter Martin Fink im Vorfeld der Vertragsunterzeichnung zwischen der Stadt Kempten und dem Institut für Zeitgeschichte München-Berlin am 20. Juli. Seit beinahe vier Jahren beschäftigen sich Kulturamt, Stadtverwaltung, Stadtrat, Stadtarchiv und viele Beteiligte mehr mit dem Thema „Nationalsozialismus in Kempten“. Schließlich habe man sich dafür entschieden, das Thema an zwei Seiten anzupacken – zum einen im Bereich Erinnerungskultur: Im Jahr 2021 wurde die Kommission für Erinnerungskultur eingerichtet, Anfang 2022 startete das Zeitzeugenprojekts der Stadt und seit Juni 2022 gibt es neu konzipierte Stadtrundgänge und Workshops für junge Menschen zum Themenkomplex „Kempten im Nationalsozialismus“. Die zweite Seite ist die wissenschaftliche Aufarbeitung der Zeit des Nationalsozialismus in Kempten.

„Mit der Unterzeichnung des Vertrags werden wir unserem Anspruch gerecht, der Geschichte unserer Stadt mit offenem Blick zu begegnen. Mit dem Institut für Zeitgeschichte konnten wir den bestmöglichen Partner finden. Die Forschung wird nun hoffentlich da Licht ins Dunkel bringen, wohin wir noch nicht vorgedrungen sind und viele Fragen beantworten, die bis jetzt unbeantwortet geblieben sind. Und, da bin ich mir sicher, wir werden neue Fragen für die Zukunft bekommen. Aber das ist auch gut so, denn um in die Zukunft zu gehen, dafür brauchen wir Erinnerung“, so Oberbürgermeister Thomas Kiechle.

Mit der Vertragsunterzeichnung am 20. Juli beginnt nun das Forschungsprojekt, das vor allem die Gesellschaft und die einzelnen Akteure in der Zeit des Nationalsozialismus im Blick hat. Die Stadt Kempten finanziert für zweieinhalb Jahre die Arbeit eines promovierten Historikers des Instituts, im Etat sind hierfür maximal 300.000 Euro eingeplant. Zudem wird das Projekt von einem wissenschaftlichen Beirat begleitet. Im März 2025 soll das Forschungsprojekt mit einem Buchmanuskript und einem Abschlussbericht vor dem Stadtrat der Stadt Kempten abgeschlossen sein. Mit dem Start des Forschungsprojekts ist nun eine weitere Wegmarke gesetzt auf dem Weg der Stadt Kempten bei der Aufarbeitung ihrer Vergangenheit.

Der Stadtrat hat am 30. Juli 2020 den Beschluss gefasst, dass die Verwaltung ein Konzept für die Aufarbeitung der Geschichte des Nationalsozialismus in Kempten erarbeitet. Damit habe sich Kempten aktiv auf den Weg gemacht, dieses Thema stärker ins Bewusstsein der Bevölkerung zu rücken, so Kemptens OB Thomas Kiechle. Besonders wichtig sei es ihm, dass das Thema nun auch wissenschaftlich fundiert aufgearbeitet wird. Für den OB geht es auch darum, zu lernen aus der Vergangenheit. Damit man frühzeitig erkennen könne, wenn sich schlechte Entwicklungen anbahnen und diesen entgegen wirken könne.

Kempten im Nationalsozialismus – Forschungslücken und Forschungsinhalte

Welche Erfahrungen machten die Menschen, die zwischen 1933 und 1945 in Kempten lebten, mit dem NS-Regime? Wer repräsentierte das NS-Regime, wer setzte nationalsozialistische Politik um? Welche Handlungsspielräume gab es und welche Verantwortung trugen lokale Entscheidungsträger? Wie präsent waren Ausgrenzung, Rassismus und Gewalt im Alltag?

Diese und viele weitere Fragen werden seit einiger Zeit in Kempten in Politik, medialer Öffentlichkeit und in privaten Gesprächen intensiv diskutiert. Dabei traten erhebliche Forschungslücken zutage. Abgesehen von wenigen instruktiven und verdienstvollen Arbeiten fehlt es für viele Einzelfragen an historischen Studien zur Geschichte der Stadt im NS-Regime.

Hier setzt das Forschungsprojekt des Instituts für Zeitgeschichte München−Berlin an. Es zielt auf eine Geschichte des Nationalsozialismus in Kempten. Ausgehend von einer breiten und aktuell sehr aktiven stadtgeschichtlichen Forschung zum NS-Regime richtet es seinen Fokus vor allem auf drei Felder, erläuterte Prof. Dr. Martina Steber, Zweite Stellvertretende Direktorin des Instituts für Zeitgeschichte München−Berlin, Professorin für Neueste Geschichte an der Universität Augsburg. Zum einen auf das Handeln der Kommunalverwaltung – wie handelten die Akteure, machten sie es dem NS-Regime leicht, sich in Kempten zu etablieren? Zum zweiten auf die Durchdringung der Stadtgesellschaft durch die NSDAP, ihre Organisationen und bürgerliche Vereine und Assoziationen, die sich der NS-Ideologie verschrieben. Wie handelten die bürgerlichen Vereine gegenüber der NS-Ideolgie, wie leicht konnte das Regime sein Netz aus Organisationen über die Stadt spannen? Der dritte Bereich der Forschung soll sich der Opfer nationalsozialistischer Ausgrenzung und Gewalt widmen. Wer war verantwortlich für die Ausgrenzung und Verfolgung der Opfer, wie handelte hier die Kommunalverwaltung? Grundsätzlich geht es in dem Projekt auch um die Frage, wer waren die Hauptakteure und wie weit nutzten sie ihre Handlungsspielräume?

Der zeitliche Schwerpunkt des Projekts liegt auf den Jahren der NS-Herrschaft zwischen 1933 und 1945, führt aber die historischen Linien dann bis an die Jahrhundertwende, in den Ersten Weltkrieg und die Weimarer Republik zurück, wenn es für ein Verständnis der untersuchten Phänomene nötig ist. Das betrifft etwa die Geschichte der NSDAP und ihrer Organisationen, die Biografien einzelner Akteurinnen und Akteure oder die politischen Allianzen zwischen bürgerlichen Parteien und der extremen Rechten.

Datenlage und Quellenforschung

Das Forschungsprojekt schöpft in erster Linie aus der Überlieferung des Stadtarchivs Kempten. Die Akten der städtischen Verwaltung sind nicht vollständig überliefert. Das gilt auch für die Personalakten. Das führt dazu, dass bestimmte Komplexe nicht oder nur bruchstückhaft dokumentiert sind. Zur Rekonstruktion von regimespezifischen Herrschaftskonflikten oder Biografien wird deshalb außerdem auf potenzielle Alternativüberlieferung in staatlichen, privaten, kirchlichen oder anderen kommunalen Archiven zurückgegriffen. Eine exzellente Quelle stellt der Nachlass von Oberbürgermeister Otto Merkt (1919-1942) dar, der nicht nur für die Analyse der Kommunalpolitik von unschätzbarem Wert ist. Dazu kommt die Zeitungsüberlieferung, die ebenfalls im Stadtarchiv Kempten vorhanden ist, sowie Quellen zu zivilgesellschaftlichen Gruppen.

„Die Geschichte Kemptens ist ein vielversprechendes Beispiel, um die Funktionsmechanismen und Dynamiken der nationalsozialistischen Herrschaft in einer Stadt mittlerer Größe zu erforschen“, erklärt der Direktor des Instituts für Zeitgeschichte, Prof. Dr. Andreas Wirsching. „Dieses Projekt wird helfen zu verstehen, wie sich der Nationalsozialismus in die deutsche Gesellschaft einnisten konnte, wie bürgerliche Eliten mit der NS-Bewegung umgingen und welche Wirkung die Volksgemeinschafts-Ideologie auf eine Gesellschaft hatte, in der die sozialen Netzwerke eng waren. Dass sich Kempten seit einigen Jahren so intensiv mit der NS-Vergangenheit auseinandersetzt, ist vorbildhaft für andere Städte weit über die Region hinaus. Wir unterstützen die Verantwortlichen sehr gerne bei diesem Vorhaben.“


Tags:
nationalsozialismus allgäu aufarbeitung geschichte


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