Offener Brief vom Bund Naturschutz an Frau Dr. Alfons
Brief an die Oberbürgermeisterin der Stadt Lindau, Dr. Claudia Alfons und an die Damen und Herren Stadträte der Großen Kreisstadt Lindau (Bodensee) zur Erschließung des Giebelbachviertels Lindau.
Sehr geehrte Frau Oberbürgermeisterin Dr. Alfons,
sehr geehrte Damen und Herren Stadträte,
Ich möchte mich in der Entscheidung zur Erschließungsstraße des Giebelbachviertels direkt an Sie wenden: Falsches Handeln verursacht vermeidbare Tote! Dies gilt in Lindau im besonderen Maße an einem neuralgischen Punkt des Stadtklimas im Giebelbachviertel, am westlichen der bekannten Grünfinger unserer Stadt. Diese Frischluftschneise beeinflusst die kleinklimatischen Verhältnisse im Bereich des Wiesentales bis hinauf nach Enzisweiler.
Und deswegen möchte ich Sie bitten, dies in Ihrer Entscheidung zur Giebelbacherschließung zu berücksichtigen. Es geht hier um vorrauschauendes Handeln. Im Jahr 2018 wurden nach dem Lancet Report weltweit 296.000 Todesfälle mit Hitze in Verbindung gebracht. An führender Stelle dabei liegt Deutschland mit mind. 20.200 Toten. Dies zeigt, dass der Klimawandel auch bei uns angekommen ist! Es darf nicht soweit kommen, dass eine 8m breite Asphaltschneise mit maximaler Länge und maximalen Flächenverbrauch in Form einer S-Schneise diesen klimasensiblen Bereich durchschneidet.
Gerade Asphalt speichert tagsüber enorm große Wärmemengen, die er nachts sukzessive wieder abgibt. Areale solcher Flächennutzung sind deshalb während windschwacher Nächte wärmer als ihr Umland. Diese sukzessive, aber massive Wärmebildung wird dazu führen dass der Kaltluftstrom hier unterbrochen wird. Am stärksten durch die Hitze gefährdet sind ältere Menschen, Säuglinge und Personen mit chronischen Erkrankungen. Die Medizin hat bereits darauf reagiert.
Die Bundesärztekammer (BÄK) fordert anlässlich der neuen Ausgabe des „Lancet Countdown“ jetzt ein entschiedenes Handeln der Politik. In einem 4 Seite 2 / 2 Punkte umfassenden Positionspapier der BÄK, das vom Institut für Epidemiologie des Helmholtz Zentrums München, zusammen mit der medizinischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München, der Charité – Universitätsmedizin Berlin und dem Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung verfasst wurde, fordern die Autoren unter anderem: „Urbane Räume heizen nicht nur das Klima an, sie haben gleichzeitig das Potenzial, den notwendigen transformativen Wandel zur Nachhaltigkeit massiv voranzutreiben. Das städtische Umfeld nimmt also entscheidenden Einfluss auf die Gesundheit der Bewohner.
„Lokale und kommunale Maßnahmen können diese Räume so transformieren, dass sie die Gesundheit fördern, während sie gleichzeitig die soziale, ökonomische und ökologische Entwicklung vorantreiben. Umwelt- und Gesundheitseffekte müssen deshalb in die Stadt- und Regionalplanung integriert werden. „Ziele zu formulieren, reicht nicht aus – wir müssen handeln, jetzt.“, betont in einer Stellungnahme dabei Martin Herrmann, Mitautor des Papiers. Der Klimawandel stellt ein enormes Bedrohungspotential dar. Dies gilt für die Artenvielfalt, die Ökosysteme und für die landwirtschaftliche Produktion. Aber nicht nur indirekt, sondern auch ganz direkt und unmittelbar wirkt sich der Klimawandel auf die gegenwärtige und zukünftige Gesundheit der Bevölkerung auf der ganzen Welt aus.
Die schon heute spürbaren Auswirkungen des Klimawandels auf die menschliche Gesundheit werden sich voraussichtlich in Zukunft weiter verstärken: Vor einigen Tagen ist der 2020 Report of The Lancet Countdown on health and climate change erschienen, an dem mehrere, weltweit führende akademische Institutionen, und auch UN-Organisationen beteiligt waren. Dieser zeichnet ein düsteres Bild der laufenden Entwicklung und nennt dabei auch explizit Deutschland.
Extreme Wetterlagen nehmen zu. Höhere Temperaturen gehen weltweit mit einer erhöhten akuten Sterblichkeit einher; und auch für Deutschland ist dieser Zusammenhang eindeutig belegt. Dies zeigt etwa die Augsburger KORA Studie. Es sollte in unserem ureigenen Interesse sein, dass wir auch in Zukunft eine funktionierende Luftzirkulation in der Stadt ermöglichen und damit den urbanen Raum auch lebenswert erhalten.
Der Gesundheit müssen und sollten monitäre Interessen hintenan gestellt werden. Zumal gar nicht erwiesen ist, dass netto Mehrkosten tatsächlich entstehen, wie von der Stadtverwaltung aufgeführt. Wenn wir es in Lindau nicht an diesem Punkt schaffen, aktiven Klimaschutz durch – in diesem Fall Schadensbegrenzung zu betreiben und damit zwangsläufig auch das GESAMTSTÄDTISCHE FREIRAUMKONZEPT 2030 Makulatur werden lassen, dann wäre das ein Armutszeugnis für Lindau!
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Maximilian Schuff, Stellv. Vorsitzender der Kreisgruppe des Bund Naturschutzes
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