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Sendung: Guten Abend Allgäu
 
 
Der Soldat Franz
(Bildquelle: Scan Heimatkundliches Dokumentationszentrum)
 
Bodensee - Heimenkirch
Donnerstag, 23. Februar 2023

Eine Familie aus Heimenkirch schreibt Kriegsgeschichte

Vom ärmlichen Leben auf einem Bauernhof bei Heimenkirch im Zweiten Weltkrieg als Soldat nach Frankreich, Ungarn, Griechenland und letztlich in britische Kriegsgefangenschaft in Ägypten: Im Heimatkundlichen Dokumentationszentrum des Landkreises Lindau (Bodensee) in Weiler-Simmerberg gibt es einen außergewöhnlichen Nachlass mit Hunderten von Briefen.

211 hat der Soldat verfasst, 518 seine Geschwister. „Ich bin stolz, dass wir in unserem Heimatkundlichen Dokumentationszentrum einen offenbar einzigartigen Briefwechsel aus dem Zweiten Weltkrieg haben“, sagt Landrat Elmar Stegmann. „Er ist einerseits eine Dokumentation des Lebens im Bereich Heimenkirch, andererseits erlaubt er Einblicke in die Welt von Soldat Franz. Die Schilderungen sind beeindruckend und gerade in der heutigen Zeit hochaktuell.“

Die Geschichte des Soldaten Franz ist Auftakt einer Serie, in der mehrere Schätze des Dokumentationszentrums vorgestellt werden sollen. Das ganze Lager mit Tausenden von Kriegsgefangenen in der Nähe des ägyptischen Bittersees ist nach einem starken Gewitter überschwemmt. Hinter einem Stacheldrahtverhau sind auf einem Foto im Nachlass Zelte zu sehen, die im Wasser stehen. Wie genau es Soldat Franz geschafft hat, Hunderte von Briefen zu retten, weiß keiner. Sicher ist: „Sie und der Kontakt nach Hause haben ihn am Leben gehalten, ihm immer wieder Hoffnung auf eine Rückkehr in die Heimat gegeben“, sagt Hans Fink, ein früherer Nachbar von Franz.

Mehr als 100.000 Kriegsgefangene waren in Lagern in der Nähe des Suezkanals untergebracht, die meisten von ihnen am Rand des Bittersees. Dort kam es zu Selbstmorden und „nicht wenigen Fälle geistiger Erkrankung“, schreibt die wissenschaftliche Kommission der Bundesregierung für Kriegsgefangenengeschichte.

Franz

Rückblende. Franz kommt am 27. Juni 1904 als sechstes Kind auf einem 4,55 Hektar kleinen Bauernhof zur Welt. Eine seiner älteren Schwestern, die kleine Maria, lernt er nie kennen: Sie stirbt im Alter von vier Jahren. Nach dem Tod der Eltern – der Vater wird 1909 im Alter von 56 Jahren zu Grabe getragen, die Mutter 1920 58-jährig – bewirtschaften die vier Geschwister Mathias, Franziska Josefa, Barbara und Franz den Hof – ein weiterer Bruder, der geheiratet hat, ist in der Zwischenzeit weggezogen. 38-jährig stirbt Barbara am 16. Februar 1932.

„Die Geschwister waren sehr nette, gute Leute. Sie haben ganz einfach gelebt, nie gejammert“, sagt der frühere Nachbar. „Sie hatten einen Kohleherd in der Küche, gelebt haben sie hauptsächlich von Milch und Brot. Zudem hatten sie noch Obst und Gemüse aus dem Garten.“ „Das waren ganz dünne Leute. Denen hat es wahnsinnig gemangelt“, ergänzt seine Frau. „Die Geschwister hatten ein paar Kühe, jedes Jahr ein Jungvieh, das sie verkauft haben, Hühner und Katzen. Täglich haben sie eine Kanne mit 30 bis 40 Liter Milch auf dem Wägele zur Molkerei gezogen.“

Geschenkt wurde den Geschwistern nichts – immer hätten sie hart gearbeitet, sagt der frühere Nachbar. Bis auf den Sonntag: Da gingen sie zur Heiligen Messe.

Als Franz im Oktober 1940 im Alter von 36 Jahren nach Berchtesgaden eingezogen wird, bleibt die schwere Arbeit auf dem Hof an seiner mittlerweile 44 Jahre alten Schwester und seinem 49-jährigem Bruder hängen.

Briefe aus dem Krieg

Franz‘ erster Brief stammt vom 3. Oktober. Seitlich auf der Feldpostkarte steht in kleinen Buchstaben ein Zitat Adolf Hitlers gedruckt: „Keine Macht und keine Unterstützung der Welt werden am Ausgang dieses Kampfes etwas ändern. England wird fallen.“ Franz selbst äußert sich nicht politisch. Am 14. November 1940 geht es für Franz als Besatzungssoldat weiter nach Frankreich, am 16. November bezieht er Quartier in einer Kaserne in Orléans. Seine Geschwister schreiben ihm erstmals am 5. Dezember 1940.

Die Feldpostkarte ist der Beginn eines intensiven Schriftwechsels zwischen Franz und seinen Geschwistern – letztere berichten ausführlich, was sich in der Heimat tut. Franz hingegen muss sich zurückhalten: Ab Mai 1941 ist es dem Soldaten beispielsweise nicht einmal mehr erlaubt, in seinen Briefen eine Ortsangabe vor das Datum zu setzen. Seine weiteren Stationen lassen sich dennoch nachvollziehen.

Für Franz folgen weitere Stationen in Frankreich. Von November 1942 bis Ende Oktober 1943 schiebt Franz im französischen Compiègne in einem Interniertenlager Wache. Am 2. November 1943 geht es für ihn weiter nach Bassinc zur Wache am Minen- und Kohlenlager, danach nach Toulouse, Bordeaux und Lyon, wo Anfang März 1944 das komplette Bataillon verladen wird. Ankunft Mitte März in Ungarn. Von dort reisen die Soldaten durch den Balkan nach Griechenland.

Die Aufgabe von Franz: die Bahnbewachung in kleinen Stellungen. Am 29. August 1944 dann der einschneidende Tag: Franz gerät in griechische Kriegsgefangenschaft – die kleinen Stellungen sind für Partisanen ein leichtes Ziel. Seit 1943 gibt es in Griechenland eine starke Partisanenbewegung. Doch es sind wohl keine kommunistischen Partisanen, die Franz gefangen nehmen – ihnen eilte Aussagen von Franz‘ früherem Nachbar zu Folge der Ruf voraus, „schlimme Leute“, gar „Kopfschlächter“ zu sein.

Im September 1944 beginnt Deutschland den Rückzug aus Griechenland, weil die Wehrmachtstruppen ansonsten von der auf dem Balkan vorrückenden Roten Armee abgeschnitten worden wären. Wie vertraglich mit der Griechischen Exilregierung vereinbart, übernehmen Britische Streitkräfte nach ihrer Landung den Oberbefehl über die Guerillaverbände. So kommt Franz in britische Kriegsgefangenschaft.

„In Griechenland wären wir vor Hunger und Ungeziefer umgekommen“, notiert er. „Sehr geehrte Geschwister (…), in den Bandenkämpfen im Dimotikagebiet (zwischen der bulgarischen und türkischen Grenze) ist ihr Bruder, der Gefreite Franz (…) der Einheit 010726 seit dem 29.8.44 mit vielen anderen Kameraden vermißt“, schreibt ein Leutnant und BataillonAdjutant der Dienststelle der F.P.Nr.01072 A O.U. am 30. September 1944. „Er hat mit seinen Kameraden in soldatischer Pflichterfüllung den Stützpunkt gehalten, bis er vermutlich von der Übermacht der Banditen überwältigt wurde. Es besteht allerdings die Möglichkeit, daß er – um der Gefangenschaft durch die Banditen zu entgehen – mit der Stützpunktbesatzung türkisches Gebiet erreicht hat und dort interniert wurde.“

Am 4. Oktober 1944 erhalten die Geschwister ein Lebenszeichen von Franz aus Griechenland. „Bin seit 29.8. in Gefangenschaft und geht mir gut und bin gesund. Hoffe das gleiche auch von Euch. Habe am obigen Datum vieles mitmachen müssen und wäre bald ertrunken. Hatte noch Hemd und Hose, das andere alles verloren. Auf Wiedersehen.“ Dann reißt die Verbindung zu Franz ab.

Daheim geht das Leben weiter, muss weitergehen. Am 29. Dezember 1944 bestätigt das Deutsche Rote Kreuz, Nachforschungsdienst für Kriegsgefangene, Kriegerverluste und Internierte, in einem Brief an die Geschwister, dass die Vermisstenmeldung eingegangen und „in die hiesige Kartei aufgenommen“ wurde. Am 20. Januar 1946 füllt Franz eine Karte aus. „EIN MITGLIED DER GESCHLAGENEN WEHRMACHT SUCHT SEINEN NÄCHSTEN ANGEHÖRIGEN. Ich bin noch am Leben und befinde mich z.Z. in britischer Hand. Ich bin gesund. Meine Anschrift ist unten. Bitte die Karte sofort zurückschicken.“

Auf einem abgerissenen Kalenderblatt antwortet sein Bruder Mathias am 10. Mai 1946. „Deine Karte vom 20. Januar 1946 heute erhalten. Bei uns und Bruder (der Bruder, der weggezogen war, d. Red.) hier ist alles gesund und beim Alten.“

„In den Postkarten schrieben die meisten Gefangenen häufig nur knapp von passabler Verpflegung und gesundheitlichem Wohlergehen. Wirft man jedoch einen Blick in die Briefe, werden die Themen diverser“, heißt es bei der Museumsstiftung Post und Telekommunikation, Kriegsgefangenenpost, in Berlin. „Die Gefangenen waren vor allem am Schicksal ihrer Familie, Freunde und Verwandten interessiert (…) Die meisten berichteten von der Hoffnung – oder Ungewissheit – auf die baldige Entlassung, vor allem aber von der Sehnsucht nach Familie und Heimat. Sie wollten Teil der Familie bleiben und Anteil an deren Leben nehmen.“

Das zeigen auch die Briefe von Franz. So schreibt er am 14. Juni 1946: „Lieber Bruder und Schwester, gestern Mittag erhielt ich endlich nach 22 Monaten von Euch die erste Post, diese Freude, wo ich hatte, könnt ihr vorstellen und ich danke Euch 1000fach dafür. Geht uns gut hier am Suezstrand u. an der Wärme fehlt es nicht. Später dann mehr im Brief. Schreibt mir so oft als möglich. Seid vielmals herzlich gegrüßt von Eurem Bruder Franz.“

Drei Tage später, am 17. Juni 1946, schreibt Franz: „Meine Lieben! Mit Freude und Glücksgefühl send ich Euch heute diesen Brief und grüße Alle, die den Brief lesen. Wie geht es Euch und dem lb. Bruder Hier. u. seiner Familie? Wie steht es mit dem Stall, im Haus, im Feld und Wald und auch im Nachbarkreise? Hoffentlich ist ziemlich alles beim Alten und bekomme von Euch mehr gute Nachrichten als schlechte. Bin Euch für jede Mitteilung sehr dankbar.“ „Es ist nun das achte Weihnachten, das ich fern von Euch verbringen muss“, ist in einem Brief des Kriegsgefangenen von Weihnachten 1947 zu lesen: „Vier beim Militär und vier in der Gefangenschaft. (…) Man tut immer das Verkehrte, wenn man vom Glück verlassen ist. Einmal kommt auch mein Entlassungstag, wo ich dem Stacheldraht der Wüste und den verschiedenen ‚guten‘ Kameraden den Rücken zuwenden kann. (…) Es ist nur bedauerlich für mich, dass ich, nachdem ich mich jetzt im alten, ehemaligen Kulturland befinde, nichts von Ägypten sehe als eine Wüste und von der Ferne den Bittersee. Hier mag auch vor 1947 Jahren die hl. Familie durch gewandert sein. Wie mag es denen auch zu Mute gewesen sein. Denn hier wird man damals sowie auch heute noch von ‚Milch und Honig‘ nicht viel gesehen haben.“

Franz berichtet in seinen Briefen von Theaterstücken und Choraufführungen oder Sport. Auseinandersetzungen, die es offenbar im Lager gibt, werden allenfalls angedeutet. Dass es ihm nicht immer gut geht, er mehrfach im Lazarett behandelt werden muss, verschweigt Franz in den Briefen an seine Geschwister – das notiert er in einer Art Tagebuch. Darin schreibt er unter anderem: „Im G 6 (einem Lager, die Red.) wurde am 31. Aug. (1945 d. Red.) ein Mann erschossen, weil er in der Nacht ausreißen wollte.“

Endlich: Reise in die Heimat

Am 7. April 1948 kehrt das Glück zu Franz zurück: Es geht Richtung Heimat. „Um 3 ½ war wecken, 4 ½ antreten, 5 ½ eingestiegen“: Gemeinsam mit 1036 Mann verlässt er um 7 Uhr mit einem Zug das Gefangenenlager. „Die Fahrt ging lange Zeit am Suezkanal entlang und war schön. Nach Ankunft bekamen wir Tee und Kuchen, hernach Zählung und dann ging es aufs Schiff (Staffordshire). Abends 18 Uhr fuhren wir langsam aus dem Hafen von Port Said und ein jeder hatte ein seltsames Gefühl, als man das ägyptische Land langsam verschwinden sah.“

An den Sonntagen gibt es an Bord eine Heilige Messe und einen evangelischen Gottesdienst. Nach einer langen Reise, vorbei an Cap Cadiz und Cap Finistère, dem nordwestlichsten Cap von Spanien, durch den Kanal Dover-Calais und Hamburg, Bremen, Bad Kreuznach, Heidelberg, Stuttgart und Ulm fährt Franz am 26. April mit dem Frühzug nach Heimenkirch hinunter. Mit den Worten „um 6.30 h bin ich zuhause angelangt“ enden seine Aufzeichnungen.

Wenn etwas war, hat Franz immer geholfen – wie seine Geschwister. Er war ein tüchtiger Mensch“, erinnert sich Hans Fink, der frühere Nachbar. In den 1960er-Jahren konnte Franz einen 12 PS-Traktor kaufen. „Der war sein ganzer Stolz“, berichtet er. „Lange hat er am Bach entlang mit der Schubkarre Holz gesammelt. Später hat Franz das mit dem Traktor gemacht.“ Als Franz krank wird, kann er kein Holz mehr sammeln. Im Haus der Geschwister ist es sehr kalt. Franz stirbt am 13.01.1978, seine Schwester im Folgejahr. Der Hof bekommt neue Eigentümer. Noch heute erinnert ein mächtiger Baum auf dem benachbarten Fink’schen Hof an Franz. Den hat der Vater von Hans Fink gemeinsam mit dem heimgekehrten Soldaten gepflanzt – als Dank dafür, dass er als Landwirt selbst nicht in den Krieg ziehen musste und dass sein Freund Franz aus der Gefangenschaft heil heimgekommen ist. Nie dürfe die Friedenslinde gefällt werden, hat Xaver Fink seinem Sohn Hans eingeschärft. Mittlerweile hat dieser die Verantwortung für die Friedenslinde an seine Tochter übertragen. Sie weiß um ihre Bedeutung – auch in der heutigen Zeit. Und gibt auf sie Acht.

Hintergrundinfo

Dass Feldpostbriefe in dieser Fülle von beiden Seiten erhalten sind – von Soldat Franz sind es 211 Briefe und Postkarten, von seinen Geschwistern 518 – ist nur ganz selten der Fall. „Auch in unserem Bestand sind vollständige Korrespondenzen eher selten. Einen derartigen Briefwechsel besitzen wir weder aus dem Ersten noch aus dem Zweiten Weltkrieg (…) Anderweitige diesbezügliche Sammlungen sind mir ebenfalls nicht bekannt“, sagt Dr. Veit Didczuneit, Abteilungsleiter Sammlungen, Museum für Kommunikation Berlin.

Von Nachlässen bis hin zu mehr als 5000 heimatkundlichen und geschichtlichen Büchern und Zeitschriften: Das Heimatkundliche Dokumentationszentrum des Landkreises Lindau in Weiler im Allgäu bewahrt Schätze der historischen und heimatkundlichen Forschung. Dazu gehören auch Kreis- und ortsgeschichtliche Sammlungen, Festschriften, Fotos, Ansichtskarten, historische und topografische Karten und Pläne, Zeitungsbände des Westallgäuers und Vorläufers ab 1854, Amtsund Regierungsblätter (ab 1803) sowie Gesetz- und Verordnungsblätter (ab 1818), Nachlässe verschiedener Heimatforscher und eine Kunstsicherungskartei mit fotografischen Bestandsaufnahmen und Beschreibung von Kircheninventaren.

Wer Interesse an Heimatgeschichte zum Anfassen hat oder Möglichkeiten zum Recherchieren sucht, ist dort willkommen und kann per E-Mail (hdz@landkreislindau.de) einen Termin vereinbaren oder den neuen, kostenlosen Newsletter abonnieren. Damit informiert das Heimatkundliche Dokumentationszentrum künftig über Interessantes und Neuerwerbungen.  


Tags:
allgäu geschichte historie


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